Mediation im Konzern – Ein Pilotprojekt im E.ON-Konzern

Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM) 2006, Seite 172 ff.: Beitrag als PDF

Die Dynamik der Veränderungen in Großkonzernen nimmt stetig zu. Umso größere Bedeutung ist daher der stabilisierenden Wirkung einer gemeinsamen erlebten und gelebten Unternehmenskultur beizumessen. Am Beispiel eines Pilotprojektes aus dem E.ON-Konzern zeigt dieser Beitrag das Potential der Mediation auf, über ihre “klassische” Funktion als alternative Konfliktlösungsmethode hinausgehend wichtige Akzente zur Gestaltung der Unternehmenskultur zu setzen.

Konventionelle Konfliktentscheidung versus Konzernmediation
Im Anschluss an die terminologische Ableitung des Begriffes “Konzernkonflikt” und die Darstellung konventioneller Konfliktentscheidungsmuster in Konzernen wird nachfolgend der sich abzeichnende Einschätzungswandel in Richtung einer größeren Offenheit für die Nutzung von ADR-Verfahren im Allgemeinen und der Mediation im Besonderen aufgezeigt.

Innerbetriebliche Konflikte und Konzernkonflikte
Bei Konflikten im Konzern ist zwischen innerbetrieblichen Konflikten und Konzernkonflikten zu unterscheiden. Innerbetriebliche Konflikte sind jene, die in ihrer Entstehung und Auswirkung im Wesentlichen auf eine einzelne Konzerngesellschaft beschränkt sind. Sie unterscheiden sich grundsätzlich nicht von solchen innerbetrieblichen Konflikten, die auch in einem Einzelunternehmen außerhalb eines Konzernverbundes auftreten könnten.1 Konzernkonflikte resultieren demgegenüber aus der Interaktion verschiedener Organisationseinheiten des Konzerns.2Anders als rein innerbetriebliche Konflikte haben Sie das Potential, das inter-gesellschaftliche Miteinander im Konzerngefüge zu belasten. Schon aus diesem Grunde ist der Umgang mit ihnen aus Konzernsicht besonders sensibel.

2. Konventioneller Umgang mit Konflikten im Konzern
Konflikte, die innerhalb des Konzerns entstehen und nicht einvernehmlich gelöst werden können, werden zumeist einer dritten Instanz zur Entscheidung vorgelegt. Innerbetrieblichen Konflikten wie auch Konzernkonflikten3 ist dabei die Tendenz gemein, die nächsthöhere Hierarchieebene mit der Entscheidung des Konfliktes zu betrauen. Abgesehen von bereichs- oder abteilungsinternen Konflikten, in denen der jeweilige Disziplinarvorgesetzte eingreift, läuft im innerbetrieblichen Bereich naturgemäß vieles auf die Unternehmensleitung zu, die notfalls ein “Machtwort” spricht. Bei Konzernkonflikten, z. B. also bei Streitigkeiten zwischen verschiedenen Konzernunternehmen, bleibt dieses Prinzip im Grundsatz erhalten, verlagert sich aber auf die höheren Konzernebenen. Als “Entscheider” tritt hier zumeist eine gemeinsame Obergesellschaft/ Muttergesellschaft der Beteiligten auf, der Vorstand der übergeordneten Konzern( sparten-)holding, gelegentlich auch ein gemeinsames Aufsichtsratsmitglied der Streitparteien. Externe Institutionen wie Schiedsgerichte oder ordentliche Gerichte werden dagegen äußerst selten bemüht. 4

Ungenutzte Möglichkeiten der Konzernmediation
Welche Vorteile die Mediation den Beteiligten im Vergleich zu der gerade in Wirtschaftskreisen weitverbreiteten Entscheidung per “Machtwort” oftmals böte, muss an dieser Stelle nicht in extenso ausgeführt werden. Im Zusammenhang mit dem nachfolgend vorgestellten Pilotprojekt des E.ON-Konzerns sei aber bereits hier darauf hingewiesen, dass die Einführung und Nutzung speziell der “Konzernmediation” Vorteile bietet, welche über ihre rein verfahrensbedingten Vorzüge deutlich hinausgehen: angesprochen ist damit die Eignung der Mediation, einen Umgang miteinander zu “institutionalisieren”, der auch und gerade im Konfliktfall dazu beiträgt, bestimmte Werte und Verhaltensweisen der Unternehmenskultur zur Geltung zu bringen. Gleichwohl führt die Mediation im deutschsprachigen Wirtschaftsraum immer noch ein Schattendasein, in welches allerdings zunehmend “Lichtblicke” eindringen. Erste Indikationen für einen Einschätzungswandel liefert z. B. die Studie von PricewaterhouseCoopers,5 die das Ziel hatte, die gegenwärtigen Praktiken und Präferenzen deutscher Unternehmen bei der Bearbeitung von Konflikten sowie Veränderungsbedarf und zukünftige Entwicklungstrends in Erfahrung zu bringen. Ein zentrales Ergebnis dieser Studie ist, dass die tatsächlich häufig genutzten Gerichtsverfahren in vielfacher Hinsicht eher als nachteilig bewertet werden, insbesondere im Vergleich zu Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung mit Unterstützung Dritter (Schiedsverfahren, Gutachten, Schlichtung und Mediation). Allerdings ergab sich eine deutliche “Schere” zwischen der positiven Bewertung solcher außergerichtlicher Verfahren und dem bislang äußerst geringen Umfang ihrer Nutzung im Unternehmensalltag. Mit Blick auf die Mediation ist diese Zurückhaltung umso erstaunlicher, als diese vielen der geäußerten Erwartungshaltungen an ein außergerichtliches Konfliktmanagement in nahezu idealtypischer Weise entspricht.6

Implementierung der “Konzernmediation”
Legtmanden vorstehenden Befund zugrunde, so stellt sich die Frage, welcher Motivation es für Wirtschaftsunternehmen bedarf, alternative Verfahren, deren Vorteile sie ausweislich der Untersuchungsergebnisse zumeist kennen oder gar anstreben, auch tatsächlich vermehrt zu nutzen. Oder, etwas pointierter gefragt: Warum bedarf es überhaupt eines Anstoßes hierzu, wo doch auf der rationalen Ebene weitgehend die Erkenntnis über die Vorzüge z. B. von Mediationsverfahren vorhanden zu sein scheint?7 Und: Welcher Faktoren und welcher Ausgestaltung bedarf es, um die Implementierung erfolgreich zu gestalten? Anhand erster Erfahrungen eines “Pilotprojektes” zur Einführung der Mediation in Teilbereichen des E.ON Konzerns soll diesen und weiteren Fragen im Folgenden nachgegangen werden.

Das Projekt “Mediation im E.ON-Konzern”
Unter Leitung des Verfassers wurde im Frühjahr 2006 ein Pilotprojekt mit dem Arbeitstitel “Mediation im E.ON-Konzern” gestartet, das im Folgenden in seinen Grundzügen vorgestellt wird.

Der Ausgangspunkt: Nachfrage nach Vermittlung im Konzern
Den Auslöser für die Idee, sich näher mit Mediation zu beschäftigen, lieferte die Praxis selbst, genauer gesagt der immer wieder geäußerte Wunsch der “Mandanten” eines lokalen Konzern-Rechtsbereiches, in gelegentlich auftretenden Konfliktsituationen zwischen einzelnen Konzerngesellschaften von der Rolle des Rechtsberaters in die des neutralen Vermittlers zu wechseln – eine Nachfrage, die durch die Funktion des Rechtsbereiches als zentrale “Standortrechtsabteilung” begünstigt wurde: Insgesamt 17 Konzerngesellschaften greifen – jeweils unter Verzicht auf eine “eigene” Rechtsabteilung – auf einen beauftragten Rechtsbereich zu, sowohl die unmittelbar am Standort ansässigen Gesellschaften als auch deren in- und ausländische Tochtergesellschaften. Um Interessenkonflikten vorzubeugen, erfolgte die Anbindung der Rechtsabteilung “mandanten-neutral” bei einer Gesellschaft, die – mit Ausnahme des Rechtsbereichs selbst – am Standort nicht vertreten ist.8 Kennzeichnend für die Arbeit eines derart eingebundenen Rechtsbereichs ist per definitionem die Bewältigung des Spannungsfeldes zwischen parteiorientierter Rechtsberatung und “neutralem” Ausgleich im Falle von Konflikten zwischen einzelnen Konzerngesellschaften. So verwundert es nicht, dass insbesondere die zuletzt genannte Funktion, die auf die Vermittlung widerstreitender Positionen und die Wahrung des “übergeordneten Konzerninteresses” abzielt, immer wieder angefragt wurde und wird.9

Rahmenbedingungen und Unternehmenskultur
Begünstigt wurde der Projektstart allerdings nicht nur durch das Aufgreifen eines quasi organisch gewachsenen Bedarfs nach konzerninterner Vermittlung, sondern daneben durch die “Passung” des Mediationsgedankens in die so genannte OneE.ON Unternehmenskultur.

aa) OneE.ON
Die Zielstellung des OneE.ON-Gedankens kann – stark verkürzt – damit umschrieben werden, konzernweit gültige Aussagen in den Bereichen Vision, Mission, Werte und Verhaltensweisen zu entwickeln.10 Eine der Hauptmotivationen ist dabei, dem Konzern nach einer weitreichenden “Umbauphase” eine integrative Kraft nach innen zu verleihen, wobei in Bezug auf die Mediation naturgemäß den Werten und Verhaltensweisen besondere Bedeutung beizumessen ist. Dabei enthalten sowohl der “OneE.ON Wertekanon” (Integrität, Offenheit, Mut, gesellschaftliche Verantwortung, Vertrauen und gegenseitiger Respekt) als auch die geforderten Verhaltensweisen (Kundenorientierung, Leistungswille, Veränderungsbereitschaft, Zusammenarbeit, Führungsverhalten, Vielfalt und Weiterentwicklung) eine Reihe von Ansatzpunkten, die auch zur Implementierung eines neuen Konfliktmanagementsystems nutzbar gemacht werden können. Dies gilt umso mehr ,als diese Werte und Verhaltensweisen nicht nur gefordert, sondern aktiv gefördert werden. So erhielt die Initiative zur Einführung der Mediation im E.ON-Konzern zum Beispiel erheblichen” Rückenwind” durch die (lokale) Auszeichnung mit dem OneE.ON Innovationspreis für Kundenorientierung, einem von zwei konzernweit durchgeführten Wettbewerben, in deren Rahmen konkrete Umsetzungsschritte bzw. Projektideen prämiert werden. Neben dem Aspekt der Kundenorientierung (der nach richtigem Verständnis auch die zahlreichen konzerninternen “Kundenbeziehungen” erfasst), kann die Idee der “Konzernmediation” sich dabei–verfahrensbedingt–unter anderem auf den Gesichtspunkt der Zusammenarbeit, aber auch auf die Werte “Vertrauen und gegenseitiger Respekt” sowie “Integrität” und “Offenheit” stützen. Schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass Neuerungen jedweder Art in eineminnovationsfreundlichen Klima besser gedeihen als in einem eher konservativen (Unternehmens-)Umfeld.11 Bereits die Auslobung eines “OneE.ON Innovationspreises” belegt nachdrücklich, dass Veränderungsbereitschaft im Rahmen des OneE.ON-Modells aktiv eingefordert wird und dass die Werte Mut und Offenheit sich auch als “Mut zu Neuem” bzw. als “Offenheit für Neues” definieren.

bb) Unterstützung durch die Unternehmensleitung( en)
Der Erfolg in der Startphase der Implementierung wird nicht nur durch die “Leitplanken” der Unternehmenskultur bestimmt. Mindestens genauso wichtig ist die volle Unterstützung durch die beteiligten Unternehmensleitungen. Dabei geht es nur vordergründig darum, dem Projekt auf der Arbeits- und Umsetzungsebene Autorität “von oben” zu verleihen. Auch wenn dies die “Geneigtheit” hier und da erhöhen mag, entscheidend für die Akzeptanz ist letztlich die Überzeugungskraft der Idee selbst. Der Unterstützung durch die beteiligten Geschäftsleitungen (sowohl derjenigen der zukünftigen Medianten als natürlich auch der des “Projektteams” selbst) bedarf es vorausschauend vor allem aber deshalb, weil kaum ein späterer Mediationsfall ohne die Zustimmung der Geschäftsleitung vorstellbar ist. Dies gilt sowohl für Konzernkonflikte im engeren Sinne – beispielsweise also für einen Konflikt zwischen Konzerngesellschaften – als auch für innerbetriebliche Spannungen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, frühzeitig – bereits in der Phase der Konzepterstellung – auf die Führungsebenen zuzugehen, auch um ein Gefühl für etwaige Vorbehalte aus deren spezieller Perspektive zu gewinnen. Werden diese Gespräche beidseitig mit der notwendigen Offenheit geführt, eröffnen sich oftmals wertvolle Einblicke in – emotional nachvollziehbare – Unsicherheiten, die im Rahmen späterer Präsentationen aufgegriffen und richtig eingeordnet werden sollten. Angefangen bei der Befürchtung, man könne über einen Geschäftsführer, der sich des neuen Instrumentes der Mediation zur Lösung innerbetrieblicher Konflikte bedient, tuscheln “… braucht der so etwas?” bis hin zu der Sorge, die Einrichtung einer Mediationsstelle führe zur Einschränkung der Machtbefugnisse der Geschäftsleitung im Allgemeinen – all dies sind Vorbehalte, die schon dann an “Sprengkraft” verlieren, wenn sie ausgesprochen wurden. Dies gilt umso mehr, als es nahezu keinen Vorbehalt gibt, der – ist man sich seiner erst einmal bewusst – nicht ausgeräumt werden könnte. Wird in den vorerwähnten Fällen zum Beispiel deutlich gemacht, dass sich Mediation nie gegen die Unternehmensführungen richtet, sondern von diesen eingesetzt wird, so ist ein Verständnis vorgezeichnet, das Mediation nicht als “Bedrohung” vorhandener Machtgefüge missversteht, sondern als Erweiterung der bestehenden Handlungskompetenzen auch und gerade der Geschäftsführungen begreift.12

Grundzüge des Konzeptes der Konzernmediation Im Folgenden werden einige Grundgedanken des Konzeptes der “Mediation im E.ON Konzern” vorgestellt.13

aa) Externe Mediatoren oder “Konzernmediatoren”?
Eine der entscheidenden Vorfragen ist, ob konzerninterne Streitigkeiten dritten Mediatoren übertragen werden oder stattdessen der Ansatz verfolgt wird, solche Konflikte “mit Bordmitteln”, d. h. mit geschulten Konzernmitarbeitern zu bewältigen. Die Antwort auf diese Frage lag in Folge der engen Verknüpfung des Projektes mit dem OneE.ON-Gedanken nahe und wurde vom Grundsatz her dahin gehend entschieden, interessierte Konzernmitarbeiter zu Mediatoren auszubilden. Dies mag der “steinigere” Weg sein, schon deshalb, weil er grundlegende Überlegungen fordert, wie Interessenten angeworben werden können, wer persönlich als Mediator geeignet erscheint, welche Ausbildungsstandards vorzugeben sind, welche Überzeugungsarbeit (wie, bei wem und auf welche Weise) im Vorfeld zu leisten ist und – nicht zuletzt – wie die “Anschubinvestitionen”, die für den Aufbau eines “Mediatorenpools” damit zunächst erforderlich sind, konzernintern dargestellt werden können; andererseits – und dies war letztendlich ausschlaggebend – ist kaum ein besseres Argument für eine “gelebte” OneE.ON-Unternehmenskultur denkbar, als ihre Absicherung gerade in Konfliktfällen der eigenen Belegschaft anzuvertrauen. Solange es hierzu der Hilfe Dritter bedarf, handelt es sich letztlich noch nicht – jedenfalls nicht vollständig – um eine internalisierte Kultur. Allerdings führt dieser Ansatz dazu, dass gerade in der existentiell wichtigen Start- und Implementierungsphase besondere Herausforderungen zu bewältigen sind, die ggf. auch eine unterstützende Einschaltung externer Mediatoren als sinnvoll (wenn nicht gar erforderlich) erscheinen lassen: Man stelle sich nur einmal vor, die Nachfrage nach Konzernmediation ist geweckt, übersteigt aber die Kapazitäten der bis dahin ausgebildeten “Konzernmediatoren”. Für ein Verfahren, das auch mit seiner Qualität der schnellen Konfliktlösung beworben wird, wäre es mehr als misslich, gerade in der Startphase das Gegenteil zu demonstrieren, sei es durch verlängerte Bearbeitungszeiten oder – noch schlimmer – durch das schlichte Zurückweisen von Mediationsverlangen infolge mangelnder Kapazitäten. Eine fallweise Hinzuziehung dritter Mediatoren kann aber nicht nur aus Kapazitätsgründen Sinn machen, sondern – auch bei bereits etablierter Konzernmediation – in besonders gelagerten Fällen, in denen es ausnahmsweise dem Wunsch der Medianten entspricht, bewusst auf Dritte zurückzugreifen.14 Dies sollte nicht als Misstrauen gegenüber der Allparteilichkeit oder Vertraulichkeit des Konzernmediators verstanden, sondern im Eintrittfall als “natürliche Grenze” des Ansatzes der “Eigenmediation” akzeptiert werden.15 Schließlich kann auch der Aspekt der Qualitätssicherung nicht außer Acht gelassen werden. Solange das Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme gewahrt bleibt, spricht prinzipiell nichts gegen die Kooperation mit erfahrenen externen Wirtschaftsmediatoren, sei es in Form von Co-Mediationen oder auch im Rahmen der Supervision.

bb) Vollzeit- oder Teilzeitmediator?
Die weitere Grundsatzfrage, ob die Konzernmediatoren ihre Aufgabe auf Vollzeitbasis oder “on the job” wahrnehmen, beantwortet sich im Ergebnis ebenfalls in Abhängigkeit von der engen Verknüpfung des Konzeptes mit der Unternehmenskultur. Angestrebt ist eine möglichst enge “Verzahnung” der Mediation mit der erlebten Unternehmenswirklichkeit. Diese ist umso eher gewährleistet, je direkter der Kontakt des Mediators zu Arbeitsalltag und Arbeitsabläufen im Konzern ist. Im Rahmen der Abwägung der Vor- und Nachteile des Vollzeit- und Teilzeitmediators16 führt dies zu einer Präferenz für die letztgenannte Variante, welche sicherstellt, dass Mediatoren mit hinreichendem Verständnis für die alltäglichen Arbeitsabläufe, die Konzernstrukturen und -zusammenhänge, aber auch für besondere “Befindlichkeiten” im Sozialgefüge Konzern ausgewählt und eingesetzt werden können. Da zudem der Akzeptanz des Mediators eine Schlüsselrolle für die Akzeptanz des Verfahrens beizumessen ist, eröffnet sich weiterhin die Chance, ersten “Berührungsängsten” durch die Auswahl solcher Konzernmediatoren entgegenzuwirken, die aufgrund ihrer Person, Stellung und Funktion respektiert werden und bereits über ein entsprechendes “standing” verfügen. Hierbei gilt es allerdings, eine Grenzziehung vorzunehmen, welche die Allparteilichkeit des Mediators mit seiner Verankerung im Konzern in Einklang bringt. So wird strikt darauf zu achten sein, die Besetzung aus dem Mediatorenpool stets so vorzunehmen, dass der ausgewählte Mediator weder direkt noch mittelbar unzulässigen Interessenkollisionen oder Berührungspunkten mit dem zu mediierenden Streitgegenstand ausgesetzt ist.

cc) Konzernweite Einführung oder lokales Pilotprojekt?
Die Antwort auf vorstehende Frage lautet “sowohl als auch, nämlich zeitlich gestuft” und leitet sich vorrangig aus der schlichten Erkenntnis ab, dass eine sofortige, flächendeckende Einführung – unter anderem aus Kapazitätsgründen – nicht machbar ist. Sie erschiene letztlich aber auch nicht sinnvoll, da der Implementierungsprozess auch als ständiger Lernprozess verstanden werden sollte, der es ermöglicht, die Erfahrungen der jeweils vorhergehenden Stufe in die Umsetzung der nächsten Phase einfließen zu lassen. Insoweit ist es nicht nur das begleitende “Regulativ” der Herstellung und Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes von Angebot und Nachfrage, welche das Tempo der Einführung steuert, sondern auch die Erkenntnis, dass nur eine schrittweise Implementierung eine angemessene Prozesssteuerung und Qualitätskontrolle ermöglicht. Angesichts der zentralen Bedeutung, die diesen Aspekten beizumessen ist, erscheint die Präferenz für ein (wachsendes) “Pilotprojekt” als nahezu alternativlos.17 Um anderseits den Eindruck einer “Insellösung” gar nicht erst aufkommen zu lassen – und zugleich den Ansatz des Einwirkens auf die Unternehmenskultur im Ganzen zu unterstreichen –, ist die Zielstellung der (schrittweisen) konzernweiten Nutzbarmachung der Mediation deutlich zu betonen.

dd) “Zwangs-Mediation” oder Freiwilligkeit?
“Eine Medizin, die verordnet wurde, schmeckt zumeist bitter” – mit diesem Zitat eines Teilnehmers einer konzerninternen Präsentation der Mediationsidee (auf die bewusst offen formulierte Frage, ob denn die Mediation aus Sicht der Teilnehmer konzernintern verpflichtend eingeführt oder auf freiwilliger Basis durchgeführt werden solle) ist bereits vieles gesagt. Ohne damit die Diskussion über die Vor und Nachteile einer “Zwangs-Mediation” unzulässig verkürzen zu wollen,18 erschiene es kontraproduktiv, die ohnehin festzustellenden Unsicherheiten gegenüber “etwas Neuem” noch dadurch zu verstärken, dass die Mediation konzernintern nunmehr auch noch verpflichtend vorgegeben würde. Abgesehen davon, dass es schwer darstellbare wäre, den Beteiligten die verfahrensimmanente Dispositionsfreiheit gerade dort zu versagen, wo es um das “ob” einer Konfliktlösung gerade im Wege der Mediation geht, wäre ein solcher Ansatz – jedenfalls im Konzern – auch deshalb verfehlt, weil er die bereits dargestellten, ernstzunehmenden Vorbehalte mancher Entscheidungsträger (Mediation als Konkurrenz und Beschneidung der Entscheidungsgewalt) nährt, anstatt sie zu entkräften. Der Ansatz, der im Rahmen des hier vorgestellten Konzeptes verfolgt wird, ist deshalb ein anderer: Die Entscheidung, ob die Streitbeteiligten sich gerade der Mediation zur Konfliktlösung bedienen, ist ihnen freigestellt. Allerdings wird ein möglichst hohes Maß an Commitment zur Mediation angestrebt, welches auf zwei Arten hergestellt werden soll: Zu meinen – dies mag banal klingen – durch schlichte Vermittlung der Überzeugung, dass und aus welchen Gründen Mediation sinnvoll und gewinnbringend für die Beteiligten ist. Dieser Ansatz, der davon ausgeht, dass ein dauerhafter Erfolg nur dann möglich ist, wenn die Idee der Mediation als solche überzeugt, soll ergänzt werden durch sichtbare “Bekenntnisse” zur Mediation. Zur Verdeutlichung: Die Vorgabe einer Konzernrichtlinie wäre im hier verstandenen Sinne z. B. “unschädlich” – de facto sogar überaus hilfreich –, wenn sie die Mediation zwar nicht verbindlich vorgibt, wohl aber zum Ausdruck bringt, dass Mediation als gleichwertige Variante im “Konfliktlösungskanon” des Konzerns angesehen, begrüßt und unterstützt wird. Wird dies mit einer weiteren Erklärung verbunden, so ist nahezu der Idealfall des hier vertretenen Ansatzes erreicht: Analog dem in den USA überaus erfolgreichen “Corporate Pledge Models”19 böte – unter anderem– auch eine Konzernrichtlinie eine hervorragende Plattform zur Vorgabe einer “freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung”, der sich einzelne Konzernunternehmen durch einseitige Erklärung – mithin einfach und unbürokratisch – anschließen können, aber nicht müssen. Tun sie dies, so schreiben sie quer, in bestimmten Konfliktfällen die Möglichkeiten der Streitbeilegung über das Instrument der Konzernmediation ernsthaft in Erwägung zu ziehen und zu prüfen. Dass daneben auf bilateraler Ebene die Möglichkeit der Aufnahme von Mediationsklauseln in konzerninternen Einzelverträgen eröffnet ist und bleibt, versteht sich von selbst. Für den Aspekt der Freiwilligkeit macht es dabei letztendlich keinen Unterschied, wie “strikt” die Vorgabe zur Mediation in dieser Klausel – oder auch im Rahmen eines Konfliktmanagementvertrages – ausgestaltet ist. Auch ein vertraglich verpflichtend vorgeschaltetes Mediationsverfahren ist nicht auf “Zwang” begründet, da die Vertragsparteien sich in einem solchen Fall kraft ihrer Parteiautonomie freiwillig diesem Verfahren unterwerfen.

ee) Publikation und Marketing im Konzern
Klappern gehört zum Handwerk. Handelt es sich zudem–wie bei der Mediation–um ein (noch) relativ unbekanntes – und von manchen anfänglich als “exotisch” empfundenes – “Handwerk”, so besteht die Kunst darin, laut genug zu klappern, ohne in den Bereich der Aufdringlichkeit zu driften. Zudem kommt es nicht nur auf die “Lautstärke”, sondern in erheblichem Maße auf die Melodie und auf Zwischentöne an. Um diese Allegorien wieder auf den Alltag des “Mediationsimplementaristen” herunter zu brechen: Inhaltlich kommt es entscheidend darauf an, den praktischen Nutzen der Mediation für den Umgang miteinander im Konfliktfall wie auch für die Unternehmenskultur zu vermitteln. Dies fällt dank der Spezifika und Qualitäten des Mediationsverfahrens in der Regel zwar leicht; gleichwohl zahlt es sich aus, z. B. Präsentationen nicht nur informativ und “zielgruppengerecht” zu gestalten,20 sondern auch mit der notwendigen Selbstkritik. Die Glaubwürdigkeit der Vermittlung nimmt erfahrungsgemäß keinen Schaden – sie steigt vielmehr – ,wenn Mediation nicht als “Allheilmittel” für jede Form des Konfliktes dargestellt wird, sondern durchaus auch Grenzen, Vorbehalte, Unsicherheiten etc. angesprochen werden. Zur konzerninternen Verbreitung und Diskussion der Idee stehen unzählige Kommunikationskanäle offen: Beiträge in Mitarbeiterzeitschriften, interne Mitteilungen, Flyer, Veröffentlichungen im Intranet, Einrichtung entsprechender Homepages, Eröffnung von Online-Diskussionsforen, Schulungen, Projekt- und Arbeitsgruppen, Lehrfilme sowie Präsentationen und – Gespräche. Diesen ist die größte Bedeutung beizumessen, auch deshalb, weil persönliche Unterredungen den Erhalt unmittelbaren und – im Idealfall – relativ “ungefilterten” Feedbacks ermöglichen.

ff) Ausblick
Die Konzernmediation kann jederzeit mit weiteren Instrumenten eines umfassenden Konfliktmanagementsystems kombiniert21 werden. Es erscheint aber konsequent, derartige Überlegungen von der Basis der Mediation ausgehend anzustellen. Kein anderes Verfahren ist derart auf Kommunikation angelegt22 und ermöglicht in vergleichbarer Weise die Einbeziehung und Diskussion derjenigen Werte undVerhaltensweisen der Unternehmenskultur, die auch – und gerade – im Konfliktfall relevant sein sollten.

Resümee
Die Implementierung von Mediationsverfahren in Gestalt der “Konzernmediation” unterstützt die Möglichkeit, konzerninterne Konflikte in Übereinstimmung mit den Werten und Verhaltensweisen der Unternehmenskultur zu lösen. Mediation ist damit weit mehr als “nur” Instrument der alternativen Streitbeilegung. Sie erweitert und ergänzt die konventionellen Möglichkeiten und Mittel der Konfliktentscheidung auf eine Art und Weise, die es den Beteiligten ermöglicht, ihre Unternehmenskultur gerade dort als “gelebt” wahrzunehmen, wo sie ihrer Bewährungsprobe ausgesetzt ist – im Konfliktfall.

Dr. jur. Jürgen Klowait, Rechtsanwalt und Mediator; Leiter des Gelsenkirchener Rechtsbereiches des Kompetenz Center Rechts der E.ON Kernkraft GmbH juergen.klowait@eon-energie.com

1 Im Einzelfall sind die Grenzen hier allerdings fließend, da auch Konfliktentscheidungen innerhalb eines Unternehmens” konzernbestimmt” sein können. Ein Ziel- oder Strategiekonflikt innerhalb eines Unternehmens wird letztlich nicht ohne Berücksichtigung der Konzernziele und -strategien entschieden werden können.

2 In Bezug auf die üblicherweise verwandte Terminologie, die bei Ansprüchen zwischen Unternehmen zumeist generell von externen Konflikten (oder auch Wirtschaftskonflikten) spricht – vgl. z. B. Troja/Stubbe, ZKM 2006, 123 –,erscheint vorliegend eine Differenzierung bzw. Präzisierung geboten, da Konzernkonflikte im hier verstandenen Sinne weder interne noch – in Ansehung des Konzernverbundes – externe Konflikte sind.

3 Im hier verstandenen Sinne, s. Fn. 2.

 

4 Gelegentlich – zumeist um den Beteiligten eine “Vorprüfung” reiner Rechtsfragen an die Hand zu geben – werden allerdings Schiedsgutachten bei neutralen Konzernjuristen (seltener bei externen Kanzleien) in Auftrag gegeben, vgl. hierzu allgemein Stubbe, SchiedsVZ 2006, 150 ff.

5 Commercial Dispute Resolution, Konfliktbearbeitungsverfahren im Vergleich, Hrsg. PwC Deutsche Revision AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt/M. 2005,vgl.hierzu auch Gläßer/Kirchhoff,ZKM2005,188 ff.

6 Genannt wurden unter anderem der Erhalt bestehender Geschäftsbeziehungen sowie das Bedürfnis, Verfahren und Ergebnis der Konfliktlösung möglichst autonom mitgestalten zu können, a. a. O., s.Fn. 5, S. 19.

7 A. a. O., s.Fn 5, S. 16, 17.

8 Hier der E.ON Kernkraft GmbH, deren Hauptsitz sich in Hannover befindet.

9 Als Beispiel sei hier auf die zahlreichen Dienstleistungsbeziehungen innerhalb des Konzerns verwiesen, die gelegentlich – im Kern dann nicht anders als bei Vertragsbeziehungen mit konzernfremden dritten Dienstleistern – Anlass zu der Diskussion geben, ob z. B. der Konzerndienstleister A seine Leistungen mängelfrei erbracht hat, ob und in welcher Höhe ihm aufgrund zusätzlich erbrachter Leistungen Nachtragsforderungen gegenüber dem Konzernauftraggeber B zustehen etc.

10 Vgl. zur Unternehmenskultur und zum OneE.ON-Gedanken insgesamt: http://www.eon.com/de/unternehmen/2032.jsp.

11 Vgl. hierzu aus wirtschaftspsychologischer Sicht: Baer/Frese, Innovation is not enough: climates for initiative and psychological safety, process innovations, and firm performance, Journal of Organizational Behaviour, 24, 45–68 (2003).

12 Ähnliche Vorbehalte gilt es überall dort aufzudecken und auszuräumen ,wo Mediation als „Konkurrenz” zu bestehenden „Machtbereichen” missverstanden werden könnte (z. B. in Personal- und Betriebsratsangelegenheiten).

13 Das Projekt befindet sich zum Zeitpunkt der Drucklegung in der Vorbereitungsphase, wobei angestrebt wird, dass die Konzernmediation Anfang 2007 ihren „Probebetrieb” aufnimmt.

14 Vorstellbar wäre zum Beispiel, dass ein Rollen- oder Machtkonflikt hochrangiger Geschäftsführer/Vorstände auf deren Wunsch hin gerade nicht von einem “E.ON-Mediator” begleitet wird.

15 Insoweit ist in den Verfahrensordnungen eine “Öffnungsklausel” vorzusehen, welche die Hinzuziehung dritter Mediatoren erlaubt (und zugleich deren Einbindung regelt).

16 Vgl. hierzu allgemein Eyer/Quinting, Innerbetriebliche Mediatoren als Konfliktlöser in Unternehmen, in: Report Wirtschaftsmediation – Krisen meistern durch professionelles Konfliktmanagement, Hrsg. Eyer, 2. Aufl. 2003,Düsseldorf, S. 269 ff. (272 f.).

17 Dies ist auch der Ansatz, der im Rahmen des vorgestellten Projektes verfolgt wird: Vorgesehen ist zunächst eine Implementierung für die Mandanten des initiierenden Rechtsbereiches, gefolgt von einer Ausdehnung auf weitere Konzernbereiche.

18 Vgl. hierzu z. B. Kriegel, Mediationspflicht – eine Chance für mehr Autonomie? ,ZKM 2006, 52 ff.m. w. N.

19 “CPR’s Corporate Policy Statement on Alternatives to Litigation”, abgedruckt als Anlage 2 (S. 316) in Schoen, Konfliktmanagementsysteme für Wirtschaftsunternehmen, Köln 2003 sowie www.cpradr.org/CMS_disp.asp? page=CPR_PledgeIntro&M=11; siehe hierzu auch Hacke, Mediationsverfahren institutionalisieren, in: Duve/Eidenmüller/Hacke,Mediation in der Wirtschaft – Wege zum professionellen Konfliktmanagement, Köln 2003, S. 309 ff. (314 f.) sowie – unter empirischen Gesichtspunkten – Zehle,ZKM 2006, 1 ff.

20 Die Schwerpunkte der Darstellung sind z. B. bei der Präsentation vor Konzernjuristen anders zu setzen als gegenüber “Personalern” und unterscheiden sich wiederum von der Akzentuierung gegenüber Geschäftsführern; zudem ist danach zu differenzieren, ob die “Anwerbung” von (zukünftigen) Konzernmediatoren im Mittelpunkt steht oder die allgemeine Bekanntmachung der Idee der Konzernmediation.

21 Siehe hierzu z. B. Troja/Stubbe,ZKM2006,121 (124 f.).

22 Dies betonen zu Recht auch Troja/Stubbe, ZKM 2006, 125 f.